Doris Märtin, Habitus. Oder: Warum Geld nicht alles ist.
- info973349
- 7. Sept. 2023
- 3 Min. Lesezeit

Habitus – was ist das?
"Kleider machen Leute" – aber eben nicht nur die. Der Habitus, das ist die Art, wie wir uns geben, bewegen oder benehmen. Es ist aber auch unser Umgang mit Geld, mit unserer Gesundheit, mit persönlichen Verbindungen und vielem mehr. Es ist unser Lebensstil oder die Mentalität, die unsere Handlungen und Entscheidungen prägt und beeinflusst. Im Blick auf die gesellschaftliche Elite besteht er auch aus Mikro-Codes, mit denen die Zugehörigkeit zu eben diesem Kreis signalisiert wird: Kleine habituelle Besonderheiten, die von Außenstehenden kaum wahrgenommen und – wie es immer wieder heißt – auch praktisch nicht erlernt werden können.
Grundsätzlich aber hat jeder Mensch die Möglichkeit, über seinen ursprünglich erworbenen Habitus hinauszuwachsen, sich in der sozialen Hierarchie zu verbessern – bzw. sich persönlich zu entwickeln. In Anlehnung an den französischen Soziologen Pierre unterteilt Märtin den Habitus in sieben verschiedene "Kapitalarten": finanzielles Kapital, Wissenskapital, soziales Kapital, kulturelles Kapital, sprachliches Kapital, physisches Kapital und psychologisches Kapital. Jeder von uns verfügt über diese unterschiedlichen Kapitalarten – allerdings eben in in unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlicher Qualität. Ob es nun tatsächlich um den Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg oder generell das Bedürfnis nach Weiterentwicklung geht – man kann in jedem der sieben Bereiche wachsen:
1. Finanzielles Kapital
Eine Möglichkeit, den Habitus zu verbessern, besteht darin, finanzielles Kapital aufzubauen. Dies kann durch Sparen, Investieren oder die Entwicklung von unternehmerischen Fähigkeiten erreicht werden. Ein solides finanzielles Fundament kann uns die Freiheit geben, neue Möglichkeiten zu erkunden und unsere Ziele zu verfolgen.
2. Wissenskapital
Wissen ist Macht. Indem wir unsere Fähigkeiten und Kenntnisse erweitern, können wir unseren Habitus verbessern. Dies kann durch formale Bildung, Selbststudium, Mentoring oder den Besuch von Workshops und Seminaren erreicht werden. Je mehr wir wissen, desto besser können wir uns in verschiedenen Situationen behaupten und neue Chancen nutzen.
3. Soziales Kapital
Soziale Beziehungen spielen bei der Verbesserung individueller Chancen eine eminent wichtige Rolle. Indem wir unser soziales Netzwerk erweitern und starke Beziehungen aufbauen, können wir von den Erfahrungen und Ressourcen anderer profitieren. Networking-Veranstaltungen, berufliche Verbände und soziales Engagement bieten Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen und uns in sozialen Milieus zu positionieren. Angehörige der gesellschaftlichen Elite sind sich dessen in besonders hohem Maß bewusst und verwenden viel Zeit, Sorgfalt und Energie darauf, persönliche Kontakte zu pflegen. Offenbar in dem Bewußtsein, dass eben diese im Zweifelsfall den entscheidenden Unterschied machen.
4. Kulturelles Kapital
Das kulturelle Kapital umfasst Wissen, Fähigkeiten und Verständnis in den Bereichen Kunst, Musik, Literatur, Mode und anderen kulturellen Aspekten. Indem wir unser kulturelles Kapital erweitern, können wir uns selbstbewusster ausdrücken und uns in verschiedenen sozialen Kontexten wohlfühlen. Der Besuch von Museen, Konzerten, Theaterstücken und das Lesen von Büchern helfen, dieses Kapital zu stärken.
5. Sprachliches Kapital
Ob wir uns klar und überzeugend ausdrücken, ein Gespür für das angemessene sprachliche Niveau haben, das richtige Wording kennen, wird von großer Bedeutung dafür sein, ob wir bei anderen einen positiven Eindruck hinterlassen. Das Erlernen neuer Sprachen, das Lesen von Büchern und das Üben rhetorischer Fähigkeiten können auf diesen Kapitalstock einzahlen.
6. Physisches Kapital
Unser physisches Kapital bezieht sich auf unsere Gesundheit, Fitness und unser äußeres Erscheinungsbild. Indem wir auf unsere körperliche und mentale Gesundheit achten, können wir unseren Habitus stärken. Eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung und Selbstpflege sind wichtige Aspekte, um unser physisches Kapital zu verbessern.
7. Psychologisches Kapital
Unser psychologisches Kapital bezieht sich auf unsere Denkweise, Einstellungen und Überzeugungen. Indem wir an unserem Selbstvertrauen, unserer Resilienz und unserer positiven Einstellung arbeiten, können wir unseren Habitus stärken. Das Lesen inspirierender Bücher, das Üben von Achtsamkeit und das Setzen realistischer Ziele können uns dabei helfen, unser psychologisches Kapital zu verbessern.
Fazit
Doris Märtin wirft einen sehr differenzierten und sehr nüchternen Blick auf die gesellschaftlichen Hierarchien, die für unsere Gesellschaft so prägend sind. Als Beraterin hat sie Führungskräfte und deren Entwicklung in verschiedenen Bereichen erlebt und begleitet – und konstatiert interessante Unterschiede: Den Aufstieg in die Wirtschaftselite beschreibt sie z.B. als besonders schwierig – im öffentlichen Dienst dagegen scheinen die Verhältnisse durchlässiger, der Karriereweg weniger steinig zu sein. Und sie macht uns klar: Der Mensch ist keine Tüpfelhyäne – wie sie auf dem Cover von Märtins Buch abgebildet ist, und die ihr Leben lang in eben dem sozialen Gefüge feststeckt, in das sie hineingeboren wurde. Als Menschen können wir in andere Sphären vorstoßen. Aber man muss ihr Buch auch nicht als Bibel für den gesellschaftlichen Aufstieg lesen. Es bietet eine Vielzahl von Anregungen, das eigene Leben auch ganz unabhängig davon zu reflektieren – und die Bereiche zu identifizieren, in denen man gerne Veränderungen erreichen möchte.
Ein gewisses Maß an Engagement, Disziplin und den Willen, über das gegebene Maß hinauszugehen, ist dabei allemal vonnöten. Die gute Nachricht aber ist: Es ist jederzeit möglich.
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